Abstinenz

Vom Wollen zum Können

Abs­ti­nent-wer­den: Das ist ein Pro­zess, der sich in drei Pha­sen glie­dert. Die­se Pha­sen sind zwar kei­ne Gesetz­mä­ßig­kei­ten, aber sie sind eher Regel als Aus­nah­me. Men­schen mit einer Sucht­er­kran­kung sind in ihrer Akzep­tanz gegen­über der Erkran­kung häu­fig ambi­va­lent: Zum einen haben Sie Pha­sen, in denen sie Ihre Erkran­kung akzep­tie­ren. Wäh­rend ande­rer Pha­sen hin­ge­gen ver­leug­nen sie ihre Abhän­gig­keit, ver­su­chen ihren Kon­sum im Ver­gleich mit ande­ren zu rela­ti­vie­ren (der trinkt doch viel mehr als ich!) und kön­nen sich auf kei­ne Hilfs­an­ge­bo­te ein­las­sen. Dies alles gehört zur Sucht­er­kran­kung dazu.

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Phase 1

Ab einem bestimm­ten Punkt im Leben erken­nen Men­schen mit einer Abhän­gig­keits­er­kran­kung, dass sie ein Pro­blem mit ihrem Kon­sum­ver­hal­ten haben. Viel­leicht bege­ben sie sich dar­auf­hin in eine medi­zi­ni­sche Ent­gif­tung oder pro­bie­ren eini­ge Stra­te­gien aus, um ihren Kon­sum zu kon­trol­lie­ren. „Trin­ken nur am Wochen­en­de.“ „Vor 18 Uhr kein Alko­hol.“ „Kein Bier vor 4.“ – Doch irgend­wo ist es zum Glück ja immer 4 Uhr! Auf die­se oder in ähn­li­cher Wei­se wer­den stän­dig Regeln geschaf­fen, nur um sie nach kur­zer Zeit wie­der zu bre­chen.

Für abhän­gi­ge Men­schen ist es nicht mög­lich, ihr Kon­sum­ver­hal­ten zu kon­trol­lie­ren. Da beißt sich die Kat­ze in den Schwanz: Denn eines der Sym­pto­me von Alko­ho­lis­mus ist ja gera­de der Kon­troll­ver­lust, der dafür sorgt, dass der Kon­sum nicht kon­trol­liert wer­den kann. Hin­zu kommt, dass die meis­ten Men­schen es lei­der nicht schaf­fen, allein aus der Sucht her­aus­zu­fin­den. Auch wenn sie ganz allei­ne in die Abhän­gig­keit hin­ein­ge­schlit­tert sind. Doch frei nach dem Mot­to: Du allein schaffst es, aber du schaffst es nicht allein (Kreuz­bund Slo­gan) gibt es vie­le klei­ne Räd­chen im Hel­fer­sys­tem, die dabei unter­stüt­zen kön­nen, einen guten Weg her­aus aus der Sucht zu fin­den. Wer sich ein­mal auf den Weg gemacht hat, wird stau­nen, was alles mög­lich ist!

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Doch der Schritt in das Hel­fer­sys­tem ist für vie­le eine unüber­wind­ba­re Hür­de und nicht sel­ten folgt auf das Aner­ken­nen der eige­nen Sucht eine gro­ße Sta­gna­ti­on. Die meis­ten Men­schen mit einer Abhän­gig­keits­er­kran­kung haben kein Erkennt­nis­pro­blem, son­dern ein Umset­zungs­pro­blem. Die Hoff­nung, dass die Abhän­gig­keit schon von allein wie­der bes­ser wird, hält schier eine Ewig­keit. Doch Sucht ist eine Ein­bahn­stra­ße und wäh­rend die­ser Zeit der Hoff­nung wird mehr und mehr kon­su­miert. Vie­le Men­schen brau­chen Jah­re, bis sie sich hel­fen las­sen und sind dann oft schon sehr tief gefal­len: Der per­sön­li­che Tief­punkt ist in der Sucht­hil­fe ein geflü­gel­tes Wort.

War­um es so weit kommt? Weil sucht­kran­ke Men­schen fürch­ten, dass ihnen mit der Abs­ti­nenz etwas weg­ge­nom­men wird. Das fühlt sich bit­ter an und ist für vie­le ein­fach unvor­stell­bar. Tat­säch­lich ist aber das genaue Gegen­teil der Fall, denn durch die Abs­ti­nenz wird den Men­schen etwas unbe­zahl­bar Wert­vol­les geschenkt: Näm­lich Frei­heit… Frei­heit und ein ganz neu­es Leben. Doch das rea­li­sie­ren die Men­schen lei­der nur etap­pen­wei­se und mit der Zeit. Das kann man nicht ver­mit­teln. Das kann man nur erle­ben.

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Phase 2

Wenn ein Mensch es ein­mal geschafft hat, sich einer Alko­hol- oder Dro­gen­be­ra­tungs­stel­le anzu­ver­trau­en, tritt er in die zwei­te Pha­se ein. Lei­der ist die Erwar­tungs­hal­tung oft­mals zu hoch, denn mit einem ein­ma­li­gen Besuch in einer Bera­tungs­stel­le ist es meis­tens nicht getan. Das gefürch­te­te Wort „The­ra­pie!“ taucht am Wahr­neh­mungs-Hori­zont auf. Wobei The­ra­pie im Sucht­be­reich – Sucht­the­ra­pie – eigent­lich wenig mit Psy­cho­the­ra­pie zu tun hat. Eine Sucht­the­ra­pie ist viel­mehr eine „Grund­aus­bil­dung für ein abs­ti­nen­tes Leben“. Zwar wer­den grund­sätz­li­che Pro­ble­me im Leben der Men­schen ange­spro­chen. Viel Zeit für deren eigent­li­che Behand­lung bleibt wäh­rend einer Sucht­the­ra­pie aller­dings nicht.

Wäh­rend einer Sucht­the­ra­pie ler­nen Men­schen viel­mehr, was Sucht über­haupt bedeu­tet. Sucht­the­ra­pie hat viel mit Psy­cho­edu­ka­ti­on zu tun: Men­schen ler­nen hier, Zusam­men­hän­ge zu erken­nen, Gefah­ren vor­zu­beu­gen, Resi­li­en­zen zu bil­den und dadurch ein zufrie­de­nes Leben ohne Kon­sum auf­zu­bau­en.

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Durch eine Ent­wöh­nungs­the­ra­pie wür­de eine rich­ti­ge Psy­cho­the­ra­pie über­haupt erst mög­lich gemacht. Denn unter dem stän­di­gen Ein­fluss von psy­cho­tro­pen Sub­stan­zen sind Men­schen in ihrer Wahr­neh­mung ver­än­dert, mit­un­ter nicht auf­nah­me­fä­hig und oft auch nicht sta­bil genug für eine Psy­cho­the­ra­pie – wenn eine sol­che über­haupt nötig sein soll­te.

Phase 3

Die drit­te Pha­se kommt meis­tens viel zu spät, denn oft gera­ten sucht­kran­ke Men­schen in eine Dau­er­schlei­fe und erle­ben die ers­ten bei­den Pha­sen wie­der und wie­der – und wer­den vie­le Male rück­fäl­lig. Vie­le sucht­kran­ke Men­schen durch­lau­fen vie­le medi­zi­ni­sche Ent­gif­tun­gen und anschlie­ßen­de Sucht­the­ra­pien. Das „Pro­blem“ ist, dass sie sich nach die­sen Maß­nah­men oft so gesund und stark füh­len – dass sie sich ein­fach nicht mehr vor­stel­len kön­nen, jemals wie­der rück­fäl­lig zu wer­den.

Das ist das „Gute“ an der Sucht. Wenn sie gestoppt ist, haben die Men­schen fast kei­ne Ein­schrän­kun­gen. Sie füh­len sich gesund und stark und ihr Leben ist lebens­wert. Doch genau hier liegt der Hase im Pfef­fer: Weil Sucht eine chro­ni­sche Krank­heit ist, kön­nen sich Sucht­kran­ke nur vor Rück­fäl­len schüt­zen, indem sie kon­ti­nu­ier­lich am The­ma dran­blei­ben. Hier reicht meis­tens schon eine Stun­de in der Woche, zum Bei­spiel in einer Selbst­hil­fe­grup­pe.

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Ver­gli­chen mit den ewi­gen Kran­ken­haus- und The­ra­pie­auf­ent­hal­ten ist die­se eine Stun­de in der Woche ein ziem­lich güns­ti­ges Geschäft. Aber, wie gesagt: Bis die­se drit­te Pha­se und damit die Akzep­tanz der chro­ni­schen Krank­heit ein­setzt, dau­ert es oft vie­le Jah­re. In den meis­ten Fäl­len aber, setzt die Akzep­tanz lei­der nie­mals ein, weil vie­le Men­schen zeit ihres Lebens nicht aner­ken­nen kön­nen, dass sie süch­tig sind.

Dis­clai­mer: Wie über­all in der Natur gibt es auch in der Sucht­hil­fe Aus­nah­me­fäl­le. Näm­lich sol­che Men­schen, die alko­hol- oder ander­wei­tig sucht­krank krank sind und ein­fach ent­schei­den, mit dem Kon­su­mie­ren auf­zu­hö­ren. Die­se Men­schen hören ein­fach auf und kon­su­mie­ren nie wie­der, obwohl sie nie auch nur einen Zeh in die pro­fes­sio­nel­le oder ehren­amt­li­che Sucht­hil­fe gestreckt haben. Sie wer­den glück­lich und zufrie­den und blei­ben ihr Leben lang abs­ti­nent. Sol­che Men­schen gibt es! – aber es gibt sie nur sehr sel­ten. Der aller­größ­te Teil abs­ti­nen­ter Men­schen fin­det auf ande­ren Wegen zum Glück: Mit­hil­fe von Sucht­be­ra­tung, Sucht­the­ra­pie und Sucht-Selbst­hil­fe schaf­fen es vie­le Men­schen, in eine glück­li­che Zukunft zu schau­en und ein lebens­wer­tes Leben zu leben.